Wie Kinderschutz gelingt
Aktuell erschrecken uns mehr Meldungen zu Grenzverletzungen an Kindern denn je – in den Familien, aber auch in den Bildungseinrichtungen. Warum das so ist und was es für einen funktionierenden Kinderschutz braucht, fragt unsere Redakteurin Jutta Gruber den Experten für Qualitätssicherung in der Kita Florian Esser-Greassidou und die ehemalige Bereichsleitung Elisabeth Krista.
Seit Juni 2021 ist jede Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe, jede Kita und jede Tagespflege verpflichtet, ein Schutzkonzept gegen Gewalt vorzulegen und es kontinuierlich zu überprüfen, zu überarbeiten und weiterzuentwickeln. Dennoch scheint grenzverletzendes Verhalten an der Tagesordnung. Wie kann man das verstehen?
EK: Institutioneller Kinderschutz beginnt schon in der Auswahl der Auszubildenden und geht in der Ausbildung derzeit nicht weit genug. Der Respekt vor der Meinung und Persönlichkeit von Kindern ist zu wenig in der Persönlichkeitsbildung angehender Erziehender verankert. Es geht weiter bei den knappen Ressourcen in den Einrichtungen, wo für eine intensive Beschäftigung mit dem Schutzkonzept wenig Energie bleibt. Ein Schutzkonzept ist zwar ein knappes Dokument – dahinter steht jedoch ein langer und intensiver Prozess. Die Fachkräfte müssen eigene Haltungen und Verhaltensweisen prüfen und bereit sein, diese zu ändern.
FE: Eine Ursache könnte auch in der persönlichen Überlastung liegen. Wider besseres Wissen werden Kinder aus persönlicher Überforderung heraus grenzverletzend behandelt. Begünstig durch eine Kultur des Wegschauens, bleibt grenzverletzendes oder gar übergriffiges Verhalten gegenüber Kindern unbemerkt und ungestraft.
In welchen Zusammenhängen musstet ihr euch bislang mit grenzverletzendem Verhalten auseinandersetzen? Wer gab den entscheidenden Hinweis auf den Missstand?
EK: Beim Träger hört man am ehesten von Eltern, dass etwas vorgefallen ist. Vielleicht hat das Kind etwas zu Hause erzählt, das ihnen Sorgen macht. Wenn sie in der Kita mit Gesprächen nicht weiterkommen, rufen sie beim Träger an. Manchmal reden auch Fachkräfte im Vertrauen mit ihrer Leitung oder anderen Ansprechpartner:innen – das passiert aber noch viel zu selten.
FE: In der Funktion als Qualitätsleitung, habe ich mich erst jüngst wieder damit auseinandersetzen müssen. In diesem aktuellen Fall kam der Hinweis tatsächlich auch von den Eltern. Bedauerlicherweise fehlt es vielen Fachkräften nach wie vor an Mut, das Fehlverhalten ihrer Kolleg:innen bei der Leitung oder dem Träger anzuzeigen.
Haben die Schutzkonzepte in den jeweiligen Einrichtungen gegriffen oder versagt?
EK: Schutzkonzepte helfen auf jeden Fall! Sie machen Prozesse greifbar und verbindlich. Wenn es nicht gegriffen hat, kann man überprüfen, woran es lag und Veränderungen vornehmen.
FE: Was den abgebildeten Verfahrensablauf betrifft, haben die Schutzkonzepte unserer Einrichtungen – soweit wir Kenntnis von Übergriffen in der Kita oder in Familien hatten – bislang gegriffen. Allerdings stellt jeder neue Fall eine Extremsituation dar, auf die sich nur bedingt theoretisch vorbereiten lässt. Viel wichtiger ist, dass im entscheidenden Moment die Handelnden nicht versagen.
Wenn es hapert, dann woran?
EK: An der Haltung der Fachkräfte und an der gesetzlichen Lage. Eine Arbeitgeberin hat kaum Möglichkeiten, trotz stichhaltiger Beweislage (Berichte von Kindern, Fachkräften und Vorgesetzten) einer Fachkraft zu kündigen. Selbst wenn man die Person irgendwie loswird, kann sie jederzeit in einer anderen Kita anfangen. Dann geht das Spiel von vorne los. Das einzige Mittel, zu verhindern, dass eine Person wieder in der Kita anfängt, ist ein Eintrag im Strafregister – und der erfolgt nur nach einer Anzeige.
FE: Nach meiner Einschätzung hapert es bereits bei den Ausbildungsbedingungen von Nachwuchs-Fachkräften. Das Thema Kinderschutz scheint hier nur unzulänglich Berücksichtigung zu finden. Zudem wird das Meldewesen in Teams kaum genutzt, weil Kollegialität zu häufig das Wohl des Kindes überragt.
Elisabeth Krista ist Psychologin und Pädagogin. Sie berät Familien und Fachkräfte darin, die Beziehung zu den Kindern in ihrem Leben zu verbessern.
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www.elisabethkrista.com
Florian Esser-Greassidou ist Leiter der Abteilung Pädagogik und Qualitätssicherung bei Villa Luna, einem überregionalen Kita-Träger, und Vater von zwei Söhnen.
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kita.journalist (Instagram)
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 07-08/2024 lesen.