Diskriminierungskritische Perspektiven auf Inklusion und Ableismus
Unter dem Motto »Entweder sind alle normal oder niemand« versammelten sich im Juni 2024 mehr als 200 Interessierte zur 13. Baustelle Inklusion der Fachstelle Kinderwelten in der Stadtmission in Berlin. In diesem Jahr ging es um den Austausch zu diskriminierungskritischen Perspektiven auf Inklusion mit dem Fokus Ableismus in Kita und Grundschule und die Bilanzierung der vor 15 Jahren in Kraft getretenen Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK). Die Moderation besorgte erneut die Kindheitspädagogin und Referentin der Fachstelle Kinderwelten Aida Kiflu – in diesem Jahr gemeinsam mit der Diplom-Pädagogin Katrin Zimmermann. Inspiriert durch vielfältige Perspektiven während des Präsenztages in Berlin und der sich anschließenden Workshops, kam sie mit ihrer Co-Moderatorin ins Gespräch.
Liebe Katrin, wir haben gemeinsam den Präsenztag der 13. Baustelle Inklusion moderiert. Das war großartig. Mich würde interessieren: Wie barrierefrei war dein Weg in die Pädagogik und dein Einstieg ins Arbeitsleben?
Dass ich studieren möchte, wurde mir in der Oberstufe klar. Den Impuls, dafür an die Pädagogische Hochschule in Freiburg im Breisgau zu gehen, gab mein Bruder, der damals bereits dort studierte. Der Campus war mit dem Rollstuhl gutzubewältigenunddieRäumelagen nah beieinander. Am meisten interessierte mich Medienpädagogik. Das konnte man jedoch nur als Aufbaustudiengang oder Wahlpflichtfach in Erziehungswissenschaften studieren. So kam es, dass ich Erziehungswissenschaften studierte. Meine Praktika absolvierte ich in verschiedensten Kitas mit unterschiedlichen pädagogischen Schwerpunkten von Montessori über Waldorf bis zur inklusiven Kita mit teiloffenem Konzept. Mein Berufseinstieg begann mit einem sechsmonatigen Praktikum in einem Schulkindergarten der Lebenshilfe, das derart schlecht bezahlt war, dass ich es mit Hartz IV aufstocken musste.
Im Anschluss an dieses Praktikum hast du eine Stelle als Inklusionsbeauftragte der Gemeinde Bötzingen nordwestlich von Freiburg im Breisgau im Rahmen eines Modellprojektes angenommen. Wie kam es dazu?
Tatsächlich verdanke ich diese Stelle vor allem einer Zufallsbekanntschaft auf einer Abendveranstaltung der Lebenshilfe. Ich war hingegangen, weil ich dachte, dort vielleicht ein Jobangebot zu bekommen. Bei einem der pädagogischen Spiele – von denen ich gar kein Fan bin – sollten wir uns alphabetisch nach unseren Vornamen aufstellen. Neben mir stand eine Frau namens Karo Krakutsch. Auch sie war von dem Spiel nicht gerade begeistert und das brachte uns zum Lachen. Am Ende der Veranstaltung fing sie mich ab und fragte: »Katrin, suchst du eine Stelle?« Ich grinste und meinte: »Das steht wohl auf meiner Stirn geschrieben?« Keine drei Tage später hatte ich einen Termin bei ihrem Mann Dominik, dem damaligen Kinder- und Jugendreferenten der Gemeinde Bötzingen, und den Job als Inklusionsbeauftragte in der Tasche. Die Zusammenarbeit mit Dominik war großartig. Gemeinsam planten wir ein inklusives Sommerferienprogramm für Kinder und Jugendliche und setzten es auch um. Die Projektstelle ging jeweils sechs Monate in zwei aufeinanderfolgenden Jahren und das Programm ist bis heute, also mehr als zehn Jahre später, noch immer eine feste Institution.
Als Inklusionsbeauftrage ist es dir gelungen, etwas nachhaltig zu bewegen. Reden wir aber mal übers Geld. War diese Stelle besser bezahlt?
Nicht wirklich. Auch sie musste ich zumindest im ersten Jahr mit Hartz IV aufstocken. Im zweiten Jahr arbeitete ich parallel als Erzieherin in einem Gemeindekindergarten, um sie mir leisten zu können. Leider ist es so, dass Projekte im sozialen Bereich generell eher schlecht bezahlt sind. Zudem ist die Nachricht, dass auch Menschen mit Behinderung gut bezahlt werden sollten, um ihr Leben selbstbestimmt gestalten können, noch nicht bei allen Entscheidungsträger:innen angekommen. Die Problematik der ungleichen Bezahlung könnte auch mal ein spannendes Thema für eine Veranstaltung der Fachstelle Kinderwelten sein.
Mit Beendigung des inklusiven Sommerferienprogramms 2012 hast du auch deine Stelle in der Gemeindekita gekündigt. Warum?
Neben vielen positiven Erinnerungen an meine Arbeit in der Bötzinger Kita habe ich dort leider auch erlebt, dass im
Grunde alle mit neuen Ideen über kurz oder lang gemobbt wurden. Aber nicht nur wir »neuen« Mitarbeiter:innen, auch Kinder wurden regelmäßig gemobbt und die Leitung unternahm nichts dagegen. Da war z.B. ein von Armut betroffenes Kind, das ich als Bezugserzieherin in der Eingewöhnung hatte. Mein Eindruck war, dass niemand es überhaupt nur auf den Schoß nehmen wollte, weil die Kleidung nicht immer sauber war. Ich traf das Mädchen und seine Mutter Jahre später zufällig auf der Straße. Wir freuten uns über das Wiedersehen und das Mädchen erzählte mir, dass es ihm jetzt besser geht, weil es inzwischen in der Grundschule ist. An die Kindergartenzeit hatten es und auch seine Mutter keine guten Erinnerungen. So etwas darf nicht passieren.
Hast du etwas dagegen unternommen?
Ja, und nicht nur ich. Nachdem ich gekündigt hatte, wendeten wir uns an den Bürgermeister. Wir, also eine weitere Kollegin, die damals auch freiwillig ging, ich und auch Eltern waren bei ihm in der Sprechstunde und haben ihn aufgefordert, sich mehr für die Kinder und ihre Familien einzusetzen. Ich hatte einen konkreten Plan dabei und Ideen, einen Teil des Teams neu zu besetzen. Leider wurde nichts davon umgesetzt. Das war sehr niederschmetternd, weil die Kita-Zeit für alle wertvoll und schön sein sollte und diese Phase entscheidend für das weitere Leben der Kinder ist.
Katrin Zimmermann (sie/ihr) ist Diplom-Pädagogin und arbeitete zehn Jahre in drei verschiedenen Kitas und für mehrere inklusive Projekte in der Kinder- und Jugendarbeit. Informationen zum inklusiven Sommerferienprogramm bietet die Website https://boetzingen.feripro.de. Bis Ende 2023 war sie Prozessbegleiterin im Rahmen der »Trägerspezifischen innovativen Projekte« des Landes Baden-Württemberg www.kita-der-zukunft.de/de/ TiP- Standorte/Karlsruhe. Sie bezeichnet sich selbst als Inklusionsbotschafterin und ist freie Mitarbeiterin der Fachstelle Kinderwelten im Institut für den Situationsansatz (https://situationsansatz.de/fachstelle-kinderwelten/).
Kontakt
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Aida Kiflu (BPoC, sie/ihr) ist staatlich anerkannte Erzieherin und Kindheitspädagogin. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet sie im Bereich der frühkindlichen Bildung und Erziehung und leitet seit sieben Jahren die Ökumenische Kita Killesberg in Stuttgart. Sie ist Referentin für vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung, Fortbilderin für Lerngeschichten nach Margaret Carr und begleitet Kita-Teams bei der Entwicklung und Umsetzung von Konzeptionen und Qualitätssicherung.
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Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 07-08/2024 lesen.